Mein Name ist Hera Delgado und ich bin Deutschlands einzige Fetischfilmregisseurin. Ich beschรคftige mich mit BDSM โ beruflich, aber auch privat. Ich bin geoutete SMerin, seit fast einer Dekade. Immer wieder denke ich, ich habe alles gesehen, alles erlebt, immer wieder muss ich feststellen, dass dem nicht so ist.
Ich finde, wir SMer sind ziemlich gut organisiert heutzutage, fast so, als seien wir gar keine Minderheit.
Heutzutage โ wenn ich das so sage, kรถnnte man meinen, ich hรคtte die Anfรคnge der SM-Subkultur miterlebt. Aber das habe ich nicht. Ich bin 30 und beschรคftige mich seit zehn Jahren mit dem Thema SM. Zehn Jahre, das ist fรผr die einen eine lange Zeit. Fรผr gewisse Privatsender lange genug, um mich in vormitternachtlichen Erwachsenenunterhaltungsdokumentationen als SM-Expertin zu titulieren und fรผr gewisse Boulevardzeitungen ebenfalls lange genug, um mich als Fetisch-Expertin zu interviewen zu Themen wie โUnd welchen Fetisch hast du?โ.
Mein Statement zu der Sache: Nicht jeder muss einen Fetisch haben. Es ist nichts daran, โcoolโ pervers zu sein. Und ich schรผttle den Kopf darรผber, dass es gerade die Boulevardmedien sind, die genau dieses Dogma verbreiten. Wenn du nicht wenigstens ein biรchen pervers bist, dann bist du nicht โinโ. Leute, hinterfragt euch doch mal โ das kรถnnt ihr doch nicht allen Ernstes glauben!
Die Wahrheit ist, dass es alles andere als leicht ist, so zu sein, anders zu sein. Und wir kรถnnen froh sein, dass wir eben so gut organisiert sind, in unserer Szene, in unserer Subkultur und in unserer eigenen kleinen Welt. Zehn Jahre, in denen ich schon alles gesehen habe, alles gehรถrt habe, in meinen Filmen vieles gezeigt habe. Zehn Jahre, fรผr die einen eine lange Zeit, fรผr die anderen gar nichts.
Da gibt es Leute, deren Lebensalter das meine um ein Vielfaches รผbersteigt, und die sich schon ihr Leben lang damit beschรคftigen โandersโ zu sein. Die auch schon anders waren, als es noch nicht modern war. Neben ihnen komme ich mir manchmal regelrecht unbedarft vor. Welch einen immensen Erfahrungsschatz kann man sich aneignen รผber die Jahrzehnte. Alles gesehen, alles gehรถrt…
Dieses Fass, es kennt keinen Boden.
Und wie betrachten wir SMer uns gegenseitig? Sind wir wirklich so tolerant, wie wir es uns auf die Fahne schreiben, so tolerant, wie wir behaupten? Da lรคstern die Doms untereinander und ziehen รผbereinander her, da fahren die Domsen ihre Krallen aus, jeder kennt die Gerรผchte รผber sich selbst, negiert sie und verbreitet die รผber die anderen gnadenlos weiter. Da schwillt dem KV-aufnehmendem Sklaven die Brust, der mehr aushรคlt als sein devoter Mitstreiter, der eigentlich nicht mehr will als still in seinem Kรคfig zu sitzen und sich von innen heraus zu fรผhlen.
Wie weit geht unsere Toleranz gegenรผber unseresgleichen? Wรคhrend sich die einen รผber CIS streiten, steigen die anderen beim TPE schon aus. Die, die sagen โWir spielen SM nichtโ geraten mit der EPE-Fraktion aneinander. Da wird geswitcht auf der einen Seite, Unverstรคndnis bei denen, die in ihrem Rollenbild alteingesessen sind. Die DSer sehen sich den SMern gegenรผber und finden kaum einen gemeinsamen Nenner. So viele verschiedene Arten des SM – oder sollte ich BDSM sagen? Fรผhlt sich sonst jemand auf den Schlips getreten?
Wo ist die Grenze, wo trennen sich Normalitรคt und Perversion? Jemand sagte einmal โPervers ist erst, wenn keiner mehr mitmachtโ. Ich sage, wenn dem so wรคre, gรคbe es keine Perversen. Es gibt immer jemanden, egal wie abgrundtief grรครlich unsere Fantasien werden und wie absurd sie uns erscheinen mรถgen. Ich sage auch, viele Gedanken kรถnnen nicht domestiziert werden. Wir mรผssen unterscheiden, was wir noch verantworten kรถnnen und an welchen Stellen uns unsere Gedanken in eine Welt tragen, die wir nicht leben kรถnnen. Und was sagt das รผber unsere Gedanken?
Nichts, auรer dass es unser Empfinden ist, welches uns eine Wertigkeit legen lรคsst in die Fantasien, die wir in unserem Kopf haben. Dinge, die der eine als hochgradig pervers empfindet, werden vom anderen als verhรคltnismรครig harmlos erachtet, doch bedeutet dies nicht zwangslรคufig, dass die Messlatte beim einen generell hรถher liegt als beim anderen. So kann es sich da durchaus auch umgekehrt proportional zueinander verhalten, hat nun Zweiter auf seiner Messlatte etwas ganz weit oben angesiedelt, was nun den Ersten nicht besonders schockt.
BDSM als Drei-Sรคulen-Prinzip, aus eben dem SM, dem DS und dem Bondage, die man wie drei Achsen รผbereinanderlegen kann, so dass ein dreidimensionaler Raum entsteht. Hier muss ein Jeder erst einmal seinen Platz finden, denn es reicht nicht, einfach nur diesen Raum zu betreten. Zwei Menschen, die auf scheinbar harmonierenden Seiten stehen, kรถnnen dennoch kilometerweit voneinander entfernt sein; zwei, die รคhnliche Neigungen haben, sich dabei viel nรคher sein, denn mit dem โpassendenโ Dritten dadurch zu einem harmonischen Ganzen werden. Drei Sรคulen, die sich beliebig verschieben lassen, die weit entfernt oder eng beieinander sein kรถnnen.
Und was finden wir am Schnittpunkt der drei Achsen, wo sich SM, DS und Bondage kreuzen? Der einzige Punkt in dem Gefรผge, der sich nicht verschieben lรคsst? Ist er der Mittelpunkt unseres kleinen Subkultur-Universums, ist er der Punkt der hรถchsten Dichte, der grรถรten Anziehungskraft, um den sich alles andere dreht? Ist es jener Ort, dem wir uns unbewusst anzunรคhern versuchen oder jene Gefahr, die uns รคhnlich einem schwarzen Loch zu verschlingen droht?
Zehn Jahre beschรคftige ich mich jetzt mit diesem Thema und der Subkultur, die daran hรคngt. Zehn Jahre, in denen ich viel gelernt habe, viel รผber die Menschen um mich herum, und noch mehr รผber mich selbst.
Ich bin inzwischen รผber den Punkt hinaus, โnormalโ sein zu wollen. Ich bin es nicht, ich war es nie, und ich werde es auch niemals sein kรถnnen.
Ich finde, wir SMer sind heutzutage ziemlich gut organisiert. So gut, dass man als Topf tatsรคchlich die Chance hat, seinen Deckel zu finden…
Hera Delgado,
Fetischfilm-Regisseurin
Mehr zu Hera Delgado unter: www.hera-delgado.com und bei Facebook.