Nach fast einem Vierteljahrhundert wurde nun endlich โLa Beteโ von Walerian Borowczyk vom Index genommen und erscheint zum ersten Mal ungekรผrzt in Deutschland. Die DVD des auรergewรถhnlichen Skandalfilms ist als Special Edition und Limited Edition beim neuen Label Bildstรถrung erschienen. Doch das ist bei weitem nicht alles, was diesen Film auszeichnet und ihn so besonders macht!
Mit โLa Bete โ Die Bestieโ schuf Walerian Borowczyk, der als einer der eigenwilligsten und auรergewรถhnlichsten Autorenfilmer seiner Zeit gilt, einen erotischen Skandalfilm ohne Gleichen. Denn noch ein Jahr vor dem nicht minder legendรคren โIm Reich der Sinneโ รผberschritten Regisseur Borowczyk und Produzent Anatole Dauman die Grenzen dessen, was Mitte der 70er Jahre gemeinhin auf den Leinwรคnden dieser Welt gezeigt wurde. Zumindest wenn man rein pornographische Filme wie beispielsweise โDeep Throatโ auรen vor lรคsst.
Wenn man allerdings zu Beginn die reine Story betrachtet, hรถrt sich die Geschichte des Biestes jedoch weniger spektakulรคr an: So droht einer alteingesessenen Adelsfamilie nach jahrelanger Misswirtschaft der finanzielle Ruin. Das Familienoberhaupt, in Form des Marquis Pierre de lโEsperance, sieht den einzigen Ausweg darin, seinen Sohn Mathurin mit der reichen amerikanischen Millionenerbin Lucy Broadhurst zu vermรคhlen. Da die Vรคter seit vielen Jahren gute Freunde sind, waren die Weichen zu der Hochzeit schon lange gestellt. Einzig der Onkel des Marquis ist gegen die Hochzeit, da diese – gemรคร einem alten Familienfluch – den Tod Mathurins Tod bedeuten wรผrde.
Nach dieser erzรคhlerischen Einleitung beginnt der eigentliche Film mit dem Eintreffen von Lucy und ihrer Tante auf den Anwesen. Fรผr erste Aufregung sorgen jedoch weniger die Hochzeits-Vorbereitungen als vielmehr das Decken einer Stute auf dem Hof des Schlosses. Doch Lucy zeigt sich nicht von der animalischen Lust fasziniert, sondern auch von einem Gemรคlde Romildas, einer Urahnin der Familie. Bei einem nรคchtlichen Streifzug findet sie ein altes Buch mit der Zeichnung eines Biestes und Notizen. Mit einem sexuellen โAlptraumโ nimmt in der folgenden Nacht die Geschichte eine folgenschwere Wendung voller Exzesse. Aber war das alles am Ende wirklich nur ein Traum?
Die mehr als 90 Minuten von โLa Beteโ sind in ihren Details so erzรคhlreich wie unendlich interpretationsfรคhig. Dies spiegelt sich nicht nur in dem umfangreichen Bonusmaterial, sondern noch deutlicher indem 52 Seiten starkem Booklet zur DVD wieder, dass viele Aspekte des Films aufgreift und รคuรerst gelungen erlรคutert.
Kurz gefasst, erzรคhlt Walerian Borowczyk eigentlich die alte Kindermรคr von der Schรถnen und dem Biest. Allerdings gestaltet er im Gegensatz zu anderen Verfilmungen wie โKing Kongโ, geschweige denn der Disney-Adaption, in denen dies noch nicht mal angedeutet wird, die sexuelle Facette der Geschichte bei weitem detaillierter aus. Fรผr viele Zensoren und Behรถrden weltweit war dies zu viel des Guten und sie sahen die expliziten Bilder Borowcyks gar als pervers an. Zumal er den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte auch noch komplett umdrehte! Somit ist das Biest hier kein Prinz, sondern der Prinz ist in Wahrheit das Biest.
Trotz der teils drastischen Bilder und konsequent-kompromisslosen Interpretation der Geschichte, kann man โLa Beteโ nicht einfach als Porno abstempeln, was er schlicht und ergreifend nicht ist. Denn auch wenn sich Borowczyk in einigen Momentaufnahmen an der Grenze zum Genre bewegt, so ist โLa Beteโ viel eher ein barockes Ausnahmewerk, indem der Regisseur in visueller Hinsicht bewusst mit plakativen und provokanten Mitteln arbeitet. Dabei sollte man jedoch nicht verschweigen, dass es Borowczyk nicht immer gelingt, die Spannung รผber die Lรคnge des Films aufrecht zu halten. So bleiben am Ende nur einzelne markante Punkte und insbesondere die Traumsequenz nachhaltig im Gedรคchtnis des Zuschauers hรคngen, wรคhrend viele Dialoge und Einstellungen unnรถtig lang und inhaltsleer erscheinen.
So wandelt Borowczyk das verwunschene Mรคrchenschloss in ein runtergekommenes Freudenhaus voller Lust und Intrigen um. Da schlรคft die Tochter der Familie heimlich mit dem schwarzen Diener, wenn sie es sich nicht direkt am Bettpfosten vergnรผgt. Der fรผr die Hochzeit eingeladene Priester erweist sich gar als pรคdophil und bringt gar seine eigenen Lustknaben mit. Doch von knisternder Erotik ist in diesem Haus dennoch nicht viel zu spรผren, vielmehr hรคngt eine schwere Trรผbsal in den dunklen Rรคumen, in denen sich ein dรผsteres Geheimnis nach dem nรคchsten offenbart.
Zu dieser Stimmung passt auch Lucys Faszination fรผr das Tagebuch der Romilda de l’Esperance. Die Ahnin ihres zukรผnftigen Gatten fรผhrt zu dem Hรถhepunkt des Films in Form eines โschrecklichen โAlb-Traumsโ: In diesem wird Romilda von ihrer Neugier in den Wald gelockt, wo sie auf ein zerfetztes Schaf trifft und folglich auf das titelgebende Biest. Das Biest, sieht in der jungen Frau jedoch keineswegs sein Fressen, sondern ein Sexobjekt, was angesichts der riesigen Erektion keinesfalls zu รผbersehen ist. Nach einer kurzen Hetzjagd erfolgt die als skandalรถs betrachtete Sexszene zwischen dem Biest und der Frau. Trotz der formalen pornografischen Gestaltung ist die Szene alles andere als anregend, ist aber in seiner filmischen Inszenierung und Montage groรartig umgesetzt. Dabei sollte man hinsichtlich des Biest-Kostรผms aus heutigen Gesichtspunkten Gnade walten lassen. Letztendlich geht es ja auch weniger um das Biest, als vielmehr um den Verlust der Unschuld und die menschliche Gratwanderung zwischen Instinkt und Verstand.
Noch ein Wort zur DVD selbst, die mit Extras exzellent ausgestattet ist. Das Bild (im Format 1:166), der sorgfรคltig restaurierten Digitalfassung weist krรคftige Farben und keinerlei Stรถrungen auf. Hier kann man dem Label Bildstรถrung nur abermals ein dickes Lob aussprechen und der Besuch im Reich der Bestie macht damit umso grรถรere Freude!
Auch Sammler sollten in Anbetracht der detaillierten und liebevollen Aufmachung รผber eine Neuanschaffung nachdenken.
Ansonsten ist nur noch zu sagen, dass โLa Beteโ auch nach mehr als 35 Jahren ein auรergewรถhnlicher Film ist. Fรผr Fans des europรคischen 70er-Jahre Kinos nach wie vor essentiell, fรผr alle anderen sicher eine Entdeckung fernab des Mainstreams wert. Die Katholische Filmkritik riet damals ab, wir raten heute immer noch zu!
Die Filme des Walerian Borowczyk
Mit den beiden herausragenden Animationsfilmen โRenaissanceโ (1963) und โLes jeux des angesโ (1964) legte der polnische Regisseur Walerian Borowczyk (1923-2006) den Grundstein seines filmischen Schaffens. Doch bereits drei Jahre spรคter wandte er sich mit โGotoโ (1968) und โBlancheโ (1971) dem Realfilm zu. Dies stellte einen entscheidenden Wendepunkt in der Karriere des gelernten Lithographen dar, der inzwischen nach Frankreich umgezogen war.
In den Fokus seiner Filme rรผckt nun die Sexualitรคt, was sich in โBlancheโ noch gediegen in Form von nackten weiblichen Kรถrpern ausdrรผckt, aber spรคtestens mit โUnmoralische Geschichtenโ grundlegend รคnderte. Mit dem sehenswerten Episodenwerk der โUnmoralischen Geschichtenโ beginnt ein Zyklus, indem sich Borowczyk nicht nur mit der Entstehung und tabuisierten Formen der Sexualitรคt auseinandersetzt, sondern auch wie sich diese in einer autarken Welt als Rituale und Fetische offenbaren.
Dabei stellen die 1975 entstandenen Werke โLa Beteโ, sowie โDocteur Jekyll et les femmesโ und โUnmoralische Novizinnenโ (1976) die besten und bedeutendsten Werke dar. Mit โLuluโ folgte nochmal ein Hรถhepunkt, bevor reine Auftragsarbeiten (โEmmanuelle Vโ oder der Fernsehserie โErotisches zur Nachtโ) folgten.
Neben der zu recht gelungenen Fรคhigkeit Borowczyk erotische Phantasien intensiv zu visualisieren, wurde er von konservativen Kritikern ebenso oft fรผr seinen Einsatz von jungen, attraktiven, und schauspielerisch unerfahrenen Mรคdchen kritisiert. Rรผckblickend betrachtet kann man viele der erotischen Szenen in seinem Werk aber eher als kรผnstlerisch denn als pornografisch ansehen.
Im Verlauf seiner Karriere wurde Borowczyk unter anderem mit dem groรen Preis der Berlinale ausgezeichnet worden und fรผr die goldene Palme in Cannes nominiert.
La Bete โ Die Bestie
Originaltitel / Alternativtitel: ?
Genre: Spielfilm, Horror, Erotik
Land / Jahr: Frankreich 1975 (Deutschland 2009)
Laufzeit: ca. 94 Min.
Studio / Vertrieb: Bildstรถrung (Alive)
Regie: Walerian Borowczyk
Darsteller: Elizabeth Kaza, Sirpa Lane, Lisbeth Hummel, Pierre Benedetti, Guy Trejan, u.a.
Format (Bild + Ton): DVD PAL (16:9 anamorph), Dolby Digital 2.0 Mono (Dt./Frz.), dt. UT
Extras: Kurzfilm, Dokumentation, Interviews, Deleted Scenes, Behind the Scenes, Bildergalerie, Booklet