Wonderland ist die neuste Hollywood-Mainstream Verfilmung zur Person von John Holmes mit Val Kilmer und Lisa Kudrow in den Hauptrollen. Dieses Jahr wäre einer der berühmtesten Stars, den die Pornofilm-Industrie jemals „produziert“ hat, stolze 60 Jahre geworden, wenn … ja, wenn er nicht am 13. März 1988 an AIDS gestorben wäre. Während das Erotic Museum in Hollywood John Holmes unlängst mit einer Dauerausstellung ehrte, widmen wir uns hier aber ausgiebig dem Film.
Die brutalen, nächtlichen Ereignisse des 1. Juni 1981 gingen wie ein Lauffeuer durch die kalifornische Presse. Vier brutale Morde, die der Drogenszene zugerechnet wurden, und mittendrin ein Mann, der eine unglaubliche Karriere hinter sich hatte – John Holmes, der erste Superstar der Pornowelt!
Und er hatte ihn bereits wirklich mehr als hinter sich, diesen Traumaufstieg, war längst fertig von Drogen, galt als notorischer Lügner, der sich nur noch mit falschen Leuten umgab, und der vermutlich bereits zur Tatzeit mit dem HIV-Virus infiziert war.
Die Medien stürzten sich wie Geier auf den Fall, was unter anderem auch durch die unglaubliche Brutalität verstärkt wurde, mit der die Opfer in der Wonderland Avenue zu Tode kamen. Wie John Holmes in diese düstere Geschichte passte, dem versucht sich nun der US-Film Wonderland zu nähern.
Val Kilmer spielt Holmes, und obwohl er durchaus einen guten Job verrichtet hat, leidet seine Performance ein wenig darunter, dass er bereits einmal eine sehr bekannte, reale Figur spielen durfte, die ebenfalls mit wüster Lockenfrisur und einem immensen Hang zum Drogenkonsum aufblitzte: Jim Morrison von der legendären Rockband The Doors nämlich, und so leiden einige Szenen dann tragischerweise unter dem Fluch des Deja-Vu-Gefühls.
Auch muss leider kritisch angemerkt werden, dass man nicht viel Neues über den Menschen John Holmes erfährt, obwohl ihm der Film zumindest in Anflügen ein wenig Ambivalenz gönnt.
Die Idee, mit der Regisseur James Cox sein Biopic aufzieht, ist nicht neu, aber in diesem Fall, wo die Wahrheit in der realen Welt lange Zeit verschlossen blieb, und zumindest Details dies auch für immer bleiben werden, erweist sie sich zumindest als gute Wahl.
Man bedient sich nämlich für Wonderland eindeutig der Struktur des Akira Kurosawa-Streifens Rashomon, bei dem es um die Suche nach der Wahrheit geht, und der Zuschauer mit ständig neuen Variationen von ein und derselben Geschichte konfrontiert wird.
Die erste Person, welche uns – vermeintlich – berichtet, was angeblich geschehen ist, in dieser grausamen Nacht des 1. Juni 1981, ist der spätere Kronzeuge der Anklage, David Lind.
Dylan McDermott (MARK-13; HAMBURGER HILL; HOME FOR THE HOLIDAYS) gibt hier eine tolle schauspielerische Leistung als heroinsüchtiger Biker-Outlaw ab, und zeigt sich wieder einmal als verlässlicher Mime für wichtige Nebenrollen.
Wenn später John Holmes von den selben Ereignissen erzählt, stimmen die wichtigsten Fakten nicht mehr, und der Film schafft es, für subtile und angemessene Verwirrung beim Betrachter zu sorgen.
Weitere Blickwinkel anderer Personen folgen, bevor es dann gegen Ende von Wonderland doch eine Art Auflösung gibt (während in dem Mutterfilm dieses Themas, Rashomon, zum Schluss keine klaren Antworten zurückbleiben).
Denn die gab es nach dem Tode von John Holmes wohl tatsächlich, als Sharon Holmes, seine damalige Ehefrau, erst dann wichtige Erinnerungen nachlieferte, als sie wusste, dass ihre verspäteten Offenbarungen John nicht mehr schaden konnten.
Sharon Holmes wird gespielt von Lisa Kudrow aus der US-Sitcom „Friends“, und die Szenen mit ihr gehören zu den Stärksten des Films. Als sie Holmes in einer brenzlichen Situation vermittelt, dass sie dem notorischen Gefühlsmanipulator nicht mehr helfen kann und will, wird die ganze Verzweiflung und auch die bereits existente Lächerlichkeit dieses Mannes anno 1981 deutlich.
Das Personal der restlichen Rollen ist ebenfalls mehr als amtlich. So erleben wir den großen Eric Bogosian aus „Talk Radio“ von Oliver Stone als Eddie Nash, den mutmaßlichen Auftraggeber des Gemetzels, der aber nie überführt werden konnte.
Die Figur des Eddie Nash taucht auch in „Boogie Nights“ von P.T. Anderson auf, einem Film, der sich zwar die Freihheit nimmt, auf den Charakternamen John Holmes zu verzichten, es aber jedem klar sein dürfte, dass die enorme Penisgrösse der Hauptfigur (in Zusammenhang mit der Zeit, in der der Film spielt, sowie zahlreicher, anderer Figuren, deren Anlage einfach zu sehr an reale Menschen dieser Ära erinnnert) keine anderen Schlüsse zulässt.
In „Boogie Nights“ ist es Alfred Molina, der den psychopatischen Drogenking mit starkem Hang zu Schusswaffen verkörpert, welcher derzeit als Doc Ock „Spiderman“ dass Leinwandleben schwer macht. Eric Bogosian spielt ihn hier absolut brilliant, mit fast dämonischen Zügen, ohne ihn zu irgendeinem Zeitpunkt der Lächerlichkeit preiszugeben.
Wir sehen auch die verloren geglaubte Carrie Fisher zu Beginn des Films wieder, die der obdachlosen Dawn Schiller, Holmes‘ damaliger Freundin, helfen will. Diese Castingwahl ist als ein äußerst cleverer und gewiefter In-Joke zu verstehen, denn nach dem Ruhm der STAR WARS-Filme hatte Fisher selber lange Zeit mit exzessiver Drogensucht zu kämpfen.
Des weiteren darf Christina Applegate aus „Eine schrecklich nette Familie“ den Beweis antreten, dass sie weitaus mehr kann, als nur „dumpfzubacken“.
Und natürlich will ich auch nicht Kate Bosworth verschweigen, die Tochter von Action-Star Brian Bosworth („Stonecold“), welche der Figur von Dawn Schiller Leben einhaucht.
Nach einem Kurzauftritt in „Rules Of Attraction“ und der Hauptrolle in dem „Geht so“-Surfreisser „Blue Crush“ ist dies als ihre bislang wichtigste Arbeit zu bewerten.
Als sie in einer Szene von Holmes zur Prostitution mit Eddie Nash gedrängt wird, leidet man als Zuschauer förmlich mit, wenn sie sich zwischen der Loyalität zu John Holmes, den sie wirklich geliebt hat, und dem Ekel vor dem bevorstehenden „Job“ windet.
Der filmische Stil von Wonderland ist neben diesem guten Darstellerpersonal leider ein bisschen zu „hip“ ausgefallen. So hätte man besser auf derlei viel Schnickschnack wie schnelle Schnitte, schräge Kamerawinkel und zu viele angespielte Songs verzichtet.
Dennoch schafft es James Cox in den 18 Drehtagen irgendwie, eine bedrohliche und unangenehme Atmosphäre der Frühachtziger-Ära zu schaffen, in der zwischen viel zu viel Drogenkonsum und dem maßlosen Verlust aller Moralvorstellungen für echte, zwischenmenschliche Gefühle kein Platz mehr blieb.
Natürlich fragt man sich auch, wie, und ob der Film die riesige Grösse von Holmes‘ „Arbeitswerkzeug“ in der Welt der Pornofilme thematisiert. Er tut es, aber sehr dezent, und in diesen wenigen Andeutungen scheint es, als hätte dies für Holmes mehr Fluch als Segen bedeutet.
Ein Blick in die Abspann-Credits hält dann noch einige wichtige Hinweise parat. So erfährt man, dass die echte Dawn Schiller diesen Film mitproduziert hat, und dass Sharon Holmes dem Wonderland -Filmteam als Beraterin zur Seite stand.
Und noch einen weiteren, unglaublich witzigen Gag will ich hier nicht verschweigen. Als John Holmes und Eddie Nash sich im Film auf einer Luxusjacht kennen lernen, sehen wir als Betthasen von Nash niemand Geringere als: Paris Hilton!
Ich erinnere nun noch einmal genüsslich an ihr „Mitwirken“ bei „One Night In Paris“, und an die Tatsache, dass sie derzeit mit einem Ex-Pornodarsteller (von Gay-Produktionen!!) zusammen ist, und fange augenblicklich wieder an zu schmunzeln!
Mr. Cox, sie hatten da wohl genau die richtige Vorahnung (Anmerkung: Wonderland stammt bereits aus dem Jahre 2003)!
Abschließend lässt sich bilanzieren, dass Wonderland zwar in keiner Weise die Qualitäten von „Boogie Nights“ in sich vereint, aber zumindest aufgrund einer Cast von engagierten und talentierten Darstellern dazu in der Lage ist, das wohl dunkelste Kapitel der US-Pornogeschichte etwas transparenter zu machen.
Diese Besprechung basiert auf der niederländischen DVD-Fassung, in Amerika ist der Film seit dem letzten Jahr erhältlich. Auf dem US-Silberling befindet sich auch Archivmaterial über die Besichtigung des echten Tatortes, was ziemlich heftig ein dürfte!
Wann die Auswertung des Streifens in Deutschland ansteht, weiß ich zu diesem Zeitpunkt nicht, aber Gerüchten zufolge, wird er wahrscheinlich im nächsten Jahr bei Paramount auf DVD erscheinen.
Wer nun Interesse an der Verstrickung von John Holmes in diesen spektakulären Mordfall bekommen hat, dem sei zum Abschluss gesagt, dass ich oben einige, wichtige Handlungsabläufe des Films bewusst nicht erwähnt habe, und zwar aus den sogenannten „Spoiler“-Gründen. So verbleiben noch genug inhaltliche Überraschungen, und ich hoffe, ihr seid durch dieses Review ein bisschen „heiß“ auf Wonderland geworden!
Wonderland
Originaltitel / Alternativtitel: „The Wonderland Murders“
Genre: Spielfilm
Land / Jahr: USA 2003 (Deutschland 2005)
Laufzeit: ca. 100 Min.
Studio / Vertrieb: Lionsgate (Paramount)
Regie: James Cox
Darsteller: Val Kilmer, Kate Bosworth, Eric Bogosian, Dylan McDermott, Lisa Kudrow, Christina Applegate, Carrie Fisher, Janeane Garofalo, u.a.
Format (Bild + Ton): DVD PAL 16:9, Dolby Digital 5.1. (dt., engl.)
Extras: -