Mit der DVD-Verรถffentlichung von โOverlordโ bleibt Bildstรถrung auch weiterhin seiner lobenswerte Devise treu, sich um die seltenen und zu Unrecht vergessenen Filme der letzten Jahrzehnte, zu bemรผhen und diese in liebevollen DVD-Editionen wieder ans Tagelicht und damit in Erinnerung zu bringen. Mit den bisherigen wundervollen Wiederverรถffentlichungen zeigt Bildstรถrung jedenfalls eindruckvoll, welche enorme Bandbreite man abseits des Mainstreams immer noch entdecken kann.
Mit โOverlordโ widmet man sich nun erstmals dem Genre des Kriegsfilms, wobei es sich hier mehr um einen Anti-(Kriegs)film handelt, mit dem sich Regisseur Stuart Cooper zugleich den รผblichen Genre-Konventionen in bemerkenswerter Form widersetzte.Allerdings macht es einem โOverlordโ nicht gerade einfach in die Lobeshymne auf die zuvor genannten Filme einzustimmen.
Dabei ist es allerdings auch wichtig, den Kontext seiner Entstehungsgeschichte zu berรผcksichtigen.Denn nachdem Stuart Cooper 1975 mit dem silbernen Bรคren fรผr โOverlordโ ausgezeichnet wurde, passierte gar nichts, auรer das der Film in absolute Vergessenheit geriet. Erst 2004 wurde man wieder auf das seltene Werk aufmerksam als in einer Dokumentation Ausschnitte aus โOverlordโ zu sehen war und man ihn die ehrenwerte Gemeinde der renommierten Filmkritiker โals eine der grรถรten Wiederentdeckungen der letzten Jahreโ feierte.
Das wird aber Stuart Cooper mehr als 30 Jahre spรคter weniger nรผtzen als die aufwendige DVD-Verรถffentlichung von Bildstรถrung als Amaray im Pappschuber und einem 36-seitigen Booklet zum Film mit weiteren Informationen.
Aber wie dem auch sei, erzรคhlt Stuart Cooper in โOverlordโ die Geschichte des jungen Englรคnders Tom Beddows (Brian Stirner). Der gutmรผtige, teils sehr naiv wirkende junge Mann hat eine Vorliebe fรผr Bรผcher und lebt im beschaulichen Heim seiner Eltern. Das behรผtete Leben des 20jรคhrigen รคndert sich allerdings rapide als er, wie viele seiner gleichfalls zwangsverpflichteten Altersgenossen, im Jahr 1994 seine Einberufung erhรคlt. Der Verabschiedung seiner Eltern folgt die Fahrt in ein Ausbildungslager der britischen Armee. Wรคhrend der Zugfahrt hat Tom Beddows auch zum ersten Mal einen Traum, dessen verschwommene Bilder ihn nicht mehr loslassen sollen: Er sieht einen Soldaten durch den Sand laufen, plรถtzlich die Arme hochreiรen und ihn fallen โฆ
Im Lager angekommen, steht die Grundausbildung der Rekruten ganz im Zeichen der Operation โOverlordโ, die als Ziel die Invasion Deutschlands hat. Entsprechend hart fรคllt die viel zu kurze Grundausbildung aus und es gilt fรผr alle Rekruten, sich mit dem neuen Leben als Soldat zu arrangieren. Die folgenden Wochen, geprรคgt vom rauen Umgangston, stupiden Drillinstruktionen und zahlreichen Schikanen durch Vorgesetzte, vergehen fรผr Beddows mehr schlecht als recht. Auch wenn er zwei neue Kameraden findet, lรคsst ihn sein Traum nicht mehr los und er fรผgt sich der Gewissheit, dass er diesen Krieg nicht รผberleben wird.
Im Gefolge der gnadenlos in Gang gesetzten Kriegsmaschinerie und seiner Versetzung an die Kรผste Sรผdenglands lernt er dort noch ein Mรคdchen kennen und lieben, ohne noch die Zeit zu haben, ihren Namen zu erfahren. Es naht der Tag der Invasion und damit Tom Beddows unaufhaltsame Bestimmung einer der unzรคhligen โHeldenโ zu werden, die bei diesem historischen Ereignis ihren Teil zum Gelingen beitragen mussten โฆ
โOverlordโ nimmt mit seinem Szenario viel von โFull Metal Jacketโ vorweg, was aber nicht die einzige Verbindung zu Stanley Kubrick ist. Der sagte damals: โDas Einzige, was mit OVERLORD nicht stimmt, ist, dass er anderthalb Stunden zu kurz ist.โ
Eine Aussage, die ich bei weitem nicht teile, aber dazu spรคter mehr. Auch Kameramann John Alcott sollte spรคter als Kameramann fรผr Kubrick legendรคre Filme wie โBarry Lyndonโ und โClockwork Orangeโ mit brillanten Bildern und Einstellungen versehen.
Von der bedrรผckenden Geschichte und ausweglos erscheinenden Lage der Hauptfigur des Films aber einmal abgesehen, haben Stuart Cooper und John Alcott mit โOverlordโ auch formal einen besonderen und anderen Film erschaffen. Denn als Film mit Spielfilm- wie den verwendeten dokumentarischen Archivszenen nimmt โOverlordโ zweifellos eine Sonderstellung ein. Sowohl in filmhistorischer Hinsicht wie auch unter den bisherigen DVD-Verรถffentlichungen von Bildstรถrung.
So haben die beiden in die Spielfilmhandlung gut ein Drittel an Archivaufnahmen integriert. Dafรผr sichtete Cooper vier Jahre lang knapp 3000 Stunden Bildmaterial des Londoner Imperial War Museum, welches gnadenlose Bilder des Luft- und Seekriegs sowie die Bombardierungen der englischen Stรคdte und die damit verbundenen Leiden der Opfer zeigt. Hier es der groรartigen Kameraarbeit und Ausleuchtung des Schwarz-Weiร-Materials von John Alcott zu verdanken, dass sich die beiden Teile zu einer Einheit verbinden. Zugleich bleibt damit der Gegensatz zwischen dem Schrecken des Krieges im allgemeinen und dem Schicksal des Einzelnen, in Form des Soldaten Tom Beddows, erhalten.
Dies fรผhrt jedoch zugleich zu einer gewissen Zwiespรคltigkeit beim Rezensenten. Zum einen kรถnnte man die Verwendung des Archivmaterials durchaus mit der simplen Vermutung abtun, dass Cooper schlicht und ergreifend gar nicht das Budget zur Verfรผgung hatte, um aufwendige Schlachten und Kriegsszenen zu filmen. Zum anderen und was viel wichtiger ist, gelang ihm mit diesem Kunstgriff, egal aus welchem Beweggrund heraus, die spรผrbare Distanz zwischen dem unmittelbaren Erleben Beddows, der den Krieg รผber die Laufzeit hinweg fast nur aus der Ferne spรผrt und bis zum tatsรคchlichen Anblick am Ende nur durch Bilder und Geschichten miterlebt.
Die immerwรคhrende Todesahnung Beddows durchzieht โOverlordโ also in doppelter Hinsicht. Neben seinem Traum prasseln auf den Zuschauer parallel die befremdlichen wie beeindruckenden Archivaufnahmen ein, wie sie fiktiver wohl kaum grausamer darstellbar wรคren. Durch eine gleichermaรen bedrohliche Soundkulisse bricht Stuart Cooper damit den Krieg auf ein einzelnes Schicksal herunter. Ein anspruchsvolles Vorhaben, das ihm nicht zuletzt dank der Aufnahmen von John Alcott zumindest in visueller Hinsicht annรคhernd gelungen ist und den Zuschauer mit verstรถrenden Eindrรผcken zurรผck lรคsst.
Verstรถrend ist aber auch die Erzรคhlstruktur von Stuart Cooper selbst, die einen leider viel zu oft im negativen Sinne des Wortes sprachlos macht. So gelungen einige satirische Anspielungen durchaus sind, so belanglos und platt sind andererseits viele der Dialoge. Vor allem muss man โOverlordโ, der ja eigentlich mit 80 Minuten alles andere als lang ist, anlasten, dass er dadurch unendlich lang, streckenweise gar langweilig, wirkt. Immerhin der einzige groรe Kritikpunkt und wie es erheblich eindrucksvoller und konsequenter geht, hat ja unter anderem Kubrick spรคter selbst gezeigt.
โOverlordโ von Bildstรถrung: bemerkenswert anders …
Alles in allem, ist โOverlordโ ohne Zweifel ein in vielerlei Hinsicht sehenswertes Werk. Sicherlich auch alles andere als ein wildes Actionfeuerwerk fรผr bunte Partyabende. Ein echtes Kontrastprogramm und in seiner Form einzigartig. Doch trotz der imposanten Bildsprache voller Wucht, Schrecken und dรผsteren Poesie nimmt mich persรถnlich und im Gegensatz zu vielen anderen Kritikern โOverlordโ nur in den seltensten Momenten mit.
Ein Umstand, den ich wie angesprochen insbesondere und leider der schwachen Inszenierung der Spielfilm-Szenen anlaste. Immerhin konnte ich mich gerade am Ende des Films, mit der Aussage Tom Beddows โIch habe nichts mehr … ich habe alles weggeworfenโ, in einem der wenigen Momente mit dem Protagonisten identifizieren.
Aber das soll diesen Film keineswegs schlechter fรผr andere machen und mein umso grรถรeres Kompliment geht dafรผr an dieser Stelle an Bildstรถrung. Denn mit โOverlordโ haben sie es einem seltenen Werk doch verdientermaรen nochmals erlaubt, mit einer ungeheuren Zahl an Extras zumindest auf der heimischen Mattscheibe in neuem Licht und Glanz zu erstrahlen. Zumindest was den filmhistorischen Kontext von โOverlord โ betrifft.
Overlord
Originaltitel / Alternativtitel: -
Genre: Spielfilm, Drama, Kriegsfilm
Land / Jahr: Groรbritannien 1975 (Deutschland 2010)
Laufzeit: ca. 79 Min.
Studio / Vertrieb: Bildstรถrung
Regie: Stuart Cooper
Darsteller: Brian Stirner, Davyd Harries, Nicholas Ball, Julie Neesam, Sam Sewell, John Franklyn-Robbins, Stella Tanner, u.a.
Format (Bild + Ton): DVD PAL 16:9, Deutsch & Englisch (Dolby Digital 2.0 Mono
Extras: Booklet zum Film, Audiokommentar von Stuart Cooper, Interviews, Kurzfilm, Clips, Trailer, uvm.