Nachdem wir das Frühwerk von Russ Meyer bereits besprochen haben, nähern wir uns mit „Lorna“ dem Titel, mit dem Meyer inhaltlich und stilistisch eine vollkommen neue Richtung einschlug, die ihn und seine Werke später weltberühmt machen sollte. Doch der Reihe nach, denn zuerst bedarf es noch eines kleinen Exkurs in die Meyerische- Filmographie.
Lorna: Zuviel für einen Mann!
Nachdem Russ Meyer „Wild Gals in the Naked West“ beendet hatte, brach er mit seiner Frau zu einem mehrmonatigen Trip nach Europa auf. Klar, dass er dabei auch das Filmen im Hinterkopf hatte. Wollte er ursprünglich Nackt-Aufnahmen in den Rotlichtvierteln von Stockholm, Paris und Hamburg drehen, merkte er recht schnell, dass er seiner Zeit (noch) voraus war und beschloss nach diversen Fehlschlägen und Abenteuern, die Aufnahmen in Staaten nachzustellen. Das ganze nannte sich dann „Europe in the raw“ und wurde dank cleverer Vermarktung ein beachtlicher Erfolg.
Diesem folgte noch im gleichen Jahr der Schnellschuss „Heavenly Bodies“, den Meyer mit Unterstützung vieler Freunde in gerade mal vier Tagen abdrehte. Inhalt: Fotografen fotografieren hübsche Frauen mit Focus auf den „Titten“. Einer der Hintergründe für diese Produktion war die Annahme von Russ Meyer, dass er krank sei und sich einer OP unterziehen müsse. Daher wollte er noch schnell eine Produktion fertigstellen, bevor er für längere Zeit außer Gefecht gesetzt wäre und Geld brauchte er zudem auch. Doch dies erwies sich gleich als doppelter Trugschluss.
Zum einen war er nicht krank, zum anderen war der Markt mittlerweile hoffnungslos mit „Nudies“ überschwemmt. Somit war auch das Interesse des Publikums verschwindend gering, so dass „Heavenly Bodies“ auch finanziell nichts einbrachte. Meyer selbst bezeichnete diesen Fehlschlag als „Un-Film, ein opportunistisches Unternehmen, aber diesmal auch die Endstation.“
Er wird sich schnell darüber klar, dass er sich nicht mehr länger auf den alten Erfolgen von Eve and the Handyman oder The Immoral Mr. Teas ausruhen kann. Und während in ganz Europa eine neue Ära (u.a. Godard mit der „Nouvelle Vague“, in Deutschland die Ankündigung des „Neuen Deutschen Film“) des Filmemachens anbricht, macht sich Meyer an die Arbeit den neuen Sexfilm zu schaffen. Es versteht sich von selbst, dass er dies wie immer auf seine ganz eigene Art und Weise machte. So entsteht 1964 „Lorna“.
Russ Meyer steckt, wie später noch öfter, sein ganzes Vermögen in die Produktion und erzählt zum ersten Mal auch eine „richtige“ Geschichte. In „Lorna“ geht es im Prinzip um die essentiellen und widrigen Umstände des Lebens. Zudem zeigt Meyer in dem ersten von vier S/W-Produktionen nun auch ganz unverhohlen, wie hart das Leben sein kann. Eine Ein- und Ansicht, die von nun an die Geschichten seiner folgenden Werke, neben großen Brüsten, prägen sollte: Sex & Violence in allen Facetten. Zugleich kreiert Meyer damit auch, wie geplant gleich ein ganz neues Genre, nämlich das der „Roughies“. Inspirieren lässt sich Meyer auch weiterhin durch das europäische Kino und zu der Zeit besonders durch italienische Neorealisten und die Bibel. So erzählt er in „Lorna“ eigentlich eine klassische Moralparabel über den Kampf von Gut gegen Böse.
Interessant in diesem Zusammenhang vielleicht noch die Anmerkung, dass Meyer für „Lorna“ (für alle späteren Produktionen übrigens auch) erst den Drehort gesucht hat und danach die Story anpasste. Neben ökonomischen Gründen, wählte Meyer auch aus praktischen Gründen, daher meist Kleinstädte und abgelegene Gegenden für seine Filme aus. In diesem Fall entstand die Produktion in 10 Tagen und mit dem heute undenkbaren Budget von gerade mal ca. 40.000 Dollar.
„Lorna“ beginnt mit einer subjektiven Kamerafahrt über eine Landstraße im Süden der USA und stoppt als ein Prediger (James Griffith) die Szenerie betritt. Mit den eindringlichen Worten: „Es gibt keine Rückkehr… So wie Ihr richtet, sollt ihr gerichtet werden.“, geht es dann weiter zu einer kleinen Ortschaft.
Allein der Opener eröffnet bereits zwei wesentliche Merkmale, die auch in späteren Produktionen wiederkehren. Zum einen, die an die Werke von E. Caldwell angesiedelten Stories und Charaktere aus dem Umfeld der amerikanischen „Poor white Trash“-Bevölkerung, zum anderen der auffällig religiöse Rahmen, den Meyer verwendet. Mit der später folgenden Bestrafung der sündigen Charaktere baut Meyer auch geschickt eine soziale Komponente ein, die ihn vor dem Vorwurf der Pornographie- und Gewaltdarstellung „schützen“ soll, was aber nur ansatzweise gelingt.
Doch zurück zur Story: In der Stadt lernen wir den alten Bastard Luther (Hal Hopper) und seinen Redneck-Buddy Jonah kennen, die nach einem Saufgelage auf der Straße eine junge, sexy Frau belästigen. Luther folgt ihr in seiner lüsternen Gier nach Hause und versucht sie zu vergewaltigen, was jedoch in einer brutalen Schlägerei endet.
Etwas außerhalb der Stadt wohnt das junge Paar James (James Rucker) und Hauptfigur Lorna (Lorna Maitland). So anständig und tüchtig James auch ist, so unbefriedigt ist Lorna, und zu allem Unglück vergisst er auch noch den ersten Hochzeitstag.
Am nächsten Morgen bleibt Lorna frustriert im Bett, während James mit Luther und Jonah zur Arbeit in der örtlichen Salzmine aufbricht. Lorna gammelt lustlos herum, ergibt sich genussreichen Tagträumen und beschließt nackt am Fluss zu baden. Doch das endet für sie aufregender als geplant, da sie unverhofft Bekanntschaft mit einem entflohenen Sträfling macht. Der fällt gleich über sie und nach kurzer Gegenwehr, „genießt“ sie sogar die Vergewaltigung und nimmt den Sträfling als willkommen Lover mit nach Hause. Währenddessen kommt es in der Salzmine zu einer Auseinandersetzung zwischen Luther und James über Lorna.
Die Geschichte endet bekanntermaßen tragisch und wird von dem Prediger, der auch den Verlauf der Handlung zwischendurch kommentiert, nochmals abschließend moralisch beurteilt.
„Lorna“ wird neben der (für damalige Verhältnisse) extrem graphischen Sex- und Gewaltdarstellung, vor allem wegen der Ex-Stripperin Lorna Maitland (Oberweite 110 cm) ein bahnbrechender Erfolg. Unvergessen in diesem Zusammenhang die berühmte gewordene Badeszene. Aber auch insgesamt kann man durchaus von einem Meisterwerk sprechen!
Aber auch die simple Story über das Elend eines ungeschminkten Amerikas, begeistert vor allem das Publikum in der US-Provinz und ruft auch unter Intellektuellen Zuspruch hervor. Allerdings kommt es hier zu einem fundamentalen Missverständnis. Sehen die Kritiker in „Lorna“ eine Parodie und verstehen es als willkommene Sozialkritik, meint es Meyer schlicht und ergreifend „ernst“, was er auch offen zu verstehen gibt. Er habe ein straightes Melodram inszenieren wollen, was keineswegs zum Lachen ist, sondern vor allem ihm gefalle. Für alles andere habe es ihm an Intellekt, Geld und Wissen gefehlt.
Trotz des Erfolges und guter Kritik, muss sich Meyer (Zitat: „Ich mag Gewalt, ich halte sie für unterhaltend.“), neben den unendlichen Porno- und Gewaltvorwürfen mit einer weiteren persönlichen Niederlage abfinden: der Scheidung von seiner zweiten Frau Eve, die von Anfang an gegen die Produktion von „Lorna“ war und sich auch durch den Inhalt persönlich angegriffen fühlte.
Lorna
Originaltitel / Alternativtitel: Russ Meyer's Lorna, Lorna - Zuviel für einen Mann
Genre: Erotikfilm, Porno Spielfilm, Pornofilm Klassiker
Land / Jahr: USA 1964
Laufzeit: ca. 80 Min.
Studio / Vertrieb: Eve Productions / WVG Medien
Regie: Russ Meyer
Erotik Darsteller: Lorna Maitland, Mark Bradley, James Rucker, Hal Hopper, Althea Currier, Frank Bolger, James Griffith, u.a.
Format (Bild + Ton): DVD PAL 4:3, DD 2.0 (dt.)
DVD Extras: -